Cover
Titel
Geschichte schreiben. Ein Quellen- und Studienbuch zur Historiographie (ca. 1350–1750)


Herausgeber
Rau, Susanne; Birgit, Studt
Erschienen
Berlin 2010: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
594 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Hiram Kümper, Geschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Universität Bielefeld

Dieser in seinem Zuschnitt absolut neuartige Band ist aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Netzwerk hervorgegangen – und ein schönes Beispiel dafür, dass dieses Förderinstrument dazu angetan ist, auch einmal ungewöhnliche Früchte für den sonst so homogenen Speisentisch der wissenschaftlichen Literaturproduktion zu produzieren. Eine mehrnational besetzte Gruppe von etablierten und Nachwuchswissenschaftlern hat sich hier zusammengefunden, um der nur auf den ersten Blick einfachen Frage «Wie schreibt man Geschichte?» nachzugehen. Dass dabei nicht ein weiterer unter vielen Aufsatzsammelbänden, sondern dieses Quellenbuch herausgekommen ist, ist nachdrücklich zu begrüssen.

In drei grosse Sektionen (Orte – Prozesse – Erzählungen) gegliedert, versammeln sich gut vier Dutzend Beiträge mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen und Ansätzen, deren Gesamtheit hier selbstredend nicht besprochen werden kann. So finden wir unter «Orten» der Geschichtsschreibung solche des Glaubens, der Macht oder des Rechts, aber auch der Exklusivität und der Fremdheit; als einschlägige «Prozesse» des Geschichteschreibens (für mein Dafürhalten die spannendste Sektion dieses Bandes) werden das Sammeln und Ordnen, das Rezipieren und Tradieren, aber auch das Spannungsfeld von Bewahren und Zerstören thematisiert. Die dritte Sektion schliesslich befasst sich mit der Konstitution durch «Erzählung», nämlich derjenigen von Zeit und Epoche, von Personen und Gruppen, aber auch Raum und Ereignissen. Ein in gewisser Weise besonderes Unterkapitel dieser Sektion sind die Beiträge zum Thema «Rhetorik als Wissensordnung für Historie», die sozusagen die Metaebene des Strukturfeldes «Erzählung» ausleuchten.

Als Klammern um die Einzelbeiträge dienen jeweils kurze Einführungen nicht nur zu den drei Sektionen selbst, sondern auch zu den häufig gebildeten Unterkapiteln, die jeweils zwei oder drei Beiträge zueinander bündeln. Durch diese geschickte Strukturierung bleibt trotz der vielen Perspektiven und Beispiele der Handbuchcharakter gewahrt und zerfasert das Projekt nicht in einen Strauss von Einzelbetrachtungen. Das Spektrum der behandelten Quellenstücke reicht vom frühen 14. bis zum späten 18. Jahrhundert und deckt weite Teile Europas mit ab. Die Anordnung folgt, auch in den einzelnen Sektionen, keinen chronologischen, sondern immer nur sachthematischen Hinsichten. So eignet sich der Band weniger für die lineare als vielmehr für die gezielte Lektüre einzelner Kapitel.

Was aber jenseits der organisatorischen Anlage besonderes Lob verdient, sind die Beiträge selbst: fast alle Beiträgerinnen und Beiträger haben sich bemüht, weniger bekannte, teils sogar bislang ungedruckte Quellen heranzuziehen, die dennoch in ihrer Exemplarität für den jeweiligen Sachverhalt eingehend gewürdigt werden; gedruckte Edition werden z.T. noch einmal geprüft und ggf. korrigiert, sämtliche fremdsprachliche Texte sind von deutschen (bzw. in einem Fall – etwas unelegant, aber pragmatisch – einer bereits vorliegenden englischen) Übersetzungen begeleitet. All das ist für die Zielsetzung eines Quellen- und Studienhandbuches, das ja nicht zuletzt dem akademischen Unterricht zugute kommen soll, vorbildlich und hätte nur im Einzelfall etwas konsequenter durchgehalten werden müssen. So wird bspw. die niederländische «Beschreyving der Stadt Amsterdam» (1663) ins Deutsche übertragen, werden aber ausgerechnet die eingesprenkelten lateinischen Kurzzitate ausgelassen (453–457). Alles in allem aber sind das Kleinigkeiten und werden Studierende hier vorbildliche Quelleninterpretationen und wird auch der gestandene Fachwissenschaftler noch manche neue und für ihn interessante Quelle finden. Nicht zuletzt darf auch die Syntheseleistung der Einleitenden nicht übersehen werden, die sich stets auf aktuellem Forschungsstand bewegen. Wer immer sich für historiographiegeschichtliche Fragestellungen interessiert, sollte an diesem Buch nicht vorbeigehen.

Zitierweise:
Hiram Kümper: Rezension zu: Susanne Rau/Birgit Studt (Hg.), Geschichte schreiben. Ein Quellen- und Studienbuch zur Historiographie (ca. 1350–1750), Berlin, Akademie Verlag, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 489